Scarlet Diva: Review von cecil b (Schnittberichte.com) (2025)

Wenn Asias Kunst besprochen wird, bleibt es kaum aus, zu erwähnen dass sie die Tochter des italienischen Horrormaestros Dario Argento (SUSPIRIA,PROFONDO ROSSO) ist, und somit oft vermutet wird dass sie in seinem Schatten steht. Mitnichten. Ihre Regale sind mit Auszeichnungen gefüllt. Als Schauspielerin überzeugte sie nicht nur in Argentos Filmen (DAS STENDHAL SYNDROM, AURA....), sie funktioniert genauso im Mainstream (xXx – Triple X) wie im Kunstfilm (LAST DAYS). Schon mit 10 Jahren stand sie als Schauspielerin vor der Kamera, in der TV-Serie Sogni e bisogniund Lamberto Bavas Splatterfilm Dèmoni 2... l'incubo ritorna.Dass Akteurin, Soundtrackkomponistin, Sängerin, Model, Filmproduzentin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin Asia Argento auch als Regisseurin überzeugen kann, bewies sie eindrucksvoll mit ihrem Film THE HEART IS DECEITFUL ABOVE ALL THINGS (Mit Peter Fonda, Marilyn Manson und Ornella Muti), und auch ihr im Jahre 2015 in Deutschland veröffentlichte Film MISSVERSTANDEN heimste zahlreiche wohlwollende Kritiken ein. SCARLET DIVA, Asias Spielfilmdebüt als Regisseurin, erreicht sicher nicht ganz das Niveau der bereitserwähnten Filme, sprüht aber nur so vor Kreativität. Dafür hat Asia auf demWilliamsburg Brooklyn Film Festival zurecht den Preis für die beste Regie erhalten. Es ist nur gewöhnungsbedürftig, dass SCARLET DIVA im Ganzen fast so speziell wie das Leben der Protagonistin ist. Was ja aber begrüßenswert ist, denn der exzentrische Stil gibt ein zweckdienliches Portrait von Anna Battista.

Asia hat für SCARLET DIVA viel Unterstützung von Bekannten und Verwandten bekommen. Ihr Vater Dario und dessen Bruder Claudio (Produzent von Dawn of the Dead, Santa Sangre, Profondo Rosso....) halfen bei der Produktion, an der Kamera stand Frederic Fasano, der später bei Dario Argentos Mother of Tears und Giallo die Kamera führte. Asias Mutter, Daria Nicolodi, die sich durch ihre Rollen in Dario Argentos PROFONDO ROSSO und PHENOMENA in das Gedächtnis der Argento-Fans einbrannte, sollte eigentlich Annas Agentin spielen, entschied sich jedoch tatsächlich dafür immens intensiv Annas Mutter zu spielen, die ihre Tochter aggressiv mit Schuldzuweisungen und Ablehnung erzieht. Die Schnitte wurden von Anna Rosa Napoli (Argentos Sleepless), und den u. a. Anime-Cuttern Scott Marchfeld (Kite) und Kahlid Mills (Tetsu no shojo Jun) gestaltet. Die Nebenrollen sind bis auf Herbert Fritsch (Happiness is a warm Gun, Regie: Hamlet X) und Daria Nicolodi mit eher unbekannten Schauspielern und Schauspielerinnen besetzt, glücklicherweise enttäuscht keiner der Akteure. Ohnehin steht Asia im Vordergrund. Auch der Soundtrack von John Hughes (Der Giftzwerg), ein Ex-Bandmitglied der Turtletoes, Bill Ding und Slicker, enttäuscht nicht. Minimalistischer Industriel geht über dramatischen EBM bis hin zu Punkrock und harmonischen aber melancholischen Pop. Schön, düster, depressiv, sentimental, wie der Eindruck den Anna, bzw. Asia, vermittelt. Schade nur, dass die deutsche Synchronisation teilweise durch nervige und unglaubwürdige Stimmen sowie eine lächerliche Jugendsprache ein Ärgernis ist. Aber dafür kann Asia bestimmt nichts.

ASIA und ANNA

Die Protagonistin ist zum Teil eine autobiographische Selbstdarstellung von Asia Argento. Diese hatte in ihren jungen Jahren laut eigenen Angaben ein Leben zwischen Drogen, schrägen Typen, Medienrummel, Wahnsinn, Gefahr und einem teilweise ominösen Filmbusiness gelebt, immer in den Tag hinein. Diese Erlebnisse flossen bestimmt in ihr überwiegend authentisches Spiel, für das sie auf dem Melbourne Underground Film Festival als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde. Asia betonte in Interviews, dass sie in SCARLET DIVA nur schreckliche Erlebnisse ihres Lebens thematisiert, nicht die schönen, und einige der Figuren an reale Personen angelehnt sein. Die Darstellung ihrer selbst halte sie für eine typische Künstlernatur, der Künstler gebeder Öffentlichkeit etwas sehr persönliches von sich. Anna spricht im Film auch Asias Worte, wenn sie sagt dass Schauspieler daher im Grunde Prostituierte sein. Die Unterschiede zwischen Anna und Asia liegen zum Teil auf der Hand. Anna Battista wächst z. B. ohne Vater auf. Asia sagte dazu sie habe deswegen keinen Vater ins Skript geschrieben, weil sie ihren eigenen nicht verletzen wollte. Dario sei für sie erst dann zum Vater geworden, als sie in seinen Filmen mitspielte. Das Zusammenspiel zwischen Asia und ihrer Mutter sei ein Psychodrama gewesen, welches beide aber zum lachen gebracht habe. In SCARLET DIVA geht es auch um die unerfüllte Liebe zu einem Mann, die Asia einst schmerzvoll verspürt hat. Ein wichtiger Punkt. Wer SCARLET DIVA sieht, kann eine philosophische Aussage Asias aus einem Interview in Gedanken haben. Darüber zu fantasieren jemand bestimmtes zu lieben, das sei pure Liebe. Die Fantasie von Liebe des anderen würde dann die eigene Fantasie zerstören.

SCARLET DIVA

Anna Battista ist eine seelisch verwirrte 24-jährige Frau, die in 20 Filmen mitgespielt hat, mit einer ebenfalls psychisch angeschlagenen jungen Frau zusammenlebt, im Drogensumpf schwimmt, und von beruflichen Terminen und der Presse überschüttet wird. Anna lebt in den Tag hinein, sie lächelt in der Öffentlichkeit ein einstudiertes Lächeln, ist ausnahmslos von Freaks, den Mitarbeitern des Filmbusiness, Dealern und Wahnsinnigen umgeben, lässt sich treiben, und ist in den Augen vieler ein Sexobjekt, das in diesem Sinne auch wörtlich bis gefährlich ausgenutzt wird. Mit ihren Rehaugen und ihrer teilweise mädchenhaften Art ist sie für manche ein "Kind", aber sie ist durch ihr zügelloses Agieren auch diese wilde Frau, die brisant einen Engel über ihren Genitalbereich tätowiert hat. Die Medien fragen sie danach was sie fühlt, was sie denkt, wer sie ist. Männer und Frauen sehen in ihr offensichtlich nur das lebendige Kunstwerk, an dem man durch Sex teilhaben kann, im Rausch, mit gespielter Liebe oder mit Gewalt. Anna mimt das Reh, die wilde Braut, das Sexobjekt, sie nimmt diese Rollen teilweise naiv aber mutig an, obwohl diese sie zerreißen. Asia ist überall gefragt, aber niemand weiß wer sie wirklich ist. Sie selbst scheint sich darüber auch nicht im klaren zu sein. Egal wie viele Menschen um sie herum sind, Annanennt sich den einsamsten Menschen der Welt.

Das Psychogramm von Anna Battista gibt viele psychologische Ansätze. Durch Rückblicke werden diverse kleine Kindheitstrauma dargestellt, von denen Asia glaubt, dass jeder solche habe, und diese natürlich einen Einfluss auf die Entwicklung haben. SCARLET DIVA stellt die Gegenwart der Vergangenheit gegenüber, und überlässt es dem Zuschauer, ob er einen klaren Zusammenhang sieht. An einer Stelle ist der Unterschied zwischen Gegenwart und jüngster Vergangenheit erst spät offensichtlich. Erst wird das Resultat einer Handlung gezeigt, und im nächsten Ablauf die Entwicklung, die die vorangegangene Szene eingeleitet hat. Durch Film im Film-Szenen, die sich auch unmittelbar auf SCARLET DIVA beziehen, wird das Prinzip der Selbstdarstellung verdeutlicht. Asia ist immer der Mittelpunkt des Geschehens, alle Nebenfiguren sind mehr schemenhafte Gestalten.Sie sind genauso unwirklich wie Anna sie wahrnimmt. Diese Gestalten wirken durch ihr unsichtiges Handeln bedrohlich oder verstörend, was immer bestätigt wird. Anna lebt nicht nur ohne vertrauenswürdige Personen um sich herum, sie merkt, dass sie sich selbst durch ihre Exzesse auch nicht vertrauen kann. Es bietet sich an, Annas Verhalten als moralisch verwerflich anzusehen, aber diese Perspektive wird im Grunde relativiert. Denn Anna lebt nun mal in dieser Welt, sie entscheidet wie sie damit umgeht, und sie nimmt Rücksicht auf die Menschen um sie herum.

Wenn Asia nackt vor dem Spiegel stehend ihre ganze Schönheit zeigt, sich die Achseln mit einer Kippe im Maul rasiert, sich im Anschluss die Schminke im Gesicht verschmiert, und sich zu fragen scheint wer sie eigentlich ist, und was sie eigentlich möchte, dann kann die Schauspielerin ihre Fähigkeiten überzeugend beweisen. Wenn sie leidet, sich windet, die pure Angst zeigt, dann kann das schon zu Herzen gehen. Und diese erotische Ausstrahlung, die dann wieder zu einem erschreckenden Agieren wechselt, das ist nicht zu kategorisieren, man sollte es gesehen haben. Wenn die Protagonistin mit einem Haufen Gangstern kommuniziert, dann wirkt das zugegebenermaßen ziemlich künstlich, fast lächerlich, aber das ist ja auch sinnvoll, weil dadurch gezeigt wird dass Anna sich da einen Schuh anziehen möchte der ihr nicht passt. Hier und da neigt Asia dazu ein überdeutlich verstörtes Kindchenschema zu spielen, nah am Overacting, aber das sind wenige Momente. Dieses Kindchenschema, in das Anna wiederholt verfällt, passt zur Asias Einstellung, die sie auch in THE HEART IS DECEITFUL ABOVE ALL THINGS eindrucksvoll einbrachte. Asia äußerte sich 2015 so, dass Kinder sich durch ihre Fantasie schützen können, sie seien stärker als man denkt. Man kann in Anna durchaus ein verstörtes 'Mädchen' sehen, das in einer zerrütteten Umgebung in der Erwachsenenwelt mit Rehaugen einen Beschützerinstinkt animieren möchte, und einen Schutzengel über der Vagina tätowiert hat. Mit dieser Tätowierung kokettiert Asia in ihrem Film mit einem erholsamen Augenzwinkern. Das Ende stellt dann aber eher bedrückend die Fantasie als eine geradezu masochistische Polarität zwischen Freud und Leid dar. Und Asia Argento setzt dieses verwirrte Seelenleben kunstvoll und wirksam in Szene.

Asia braucht nur Minuten, um ein deutliches inszenatorisches Portrait von Anna zu präsentieren. Sie wandelt auf Flughäfen, die stellvertretend für ihr Leben zwischen Tür und Angel sein können, erlebt psychotische Momente in denen blaue und rote Farben das surreale Empfinden sichtbar machen, und landet dann verträumt, traurig und sehnsuchtsvoll vor einem Fenster, vielleicht ein Blick auf eine hoffnungsvolle Zukunft in weiter Ferne. Schon der Vorspann überreizt den Zuschauer mit vielen Ausschnitten aus Annas Leben, allen möglichen Farbtönen, und etlichen Dialogen von Reportern. Anna wird in allen erdenklichen Perspektiven allein dargestellt. Sie sitzt z. B. mit dem Zuschauer zusammen im Auto, der das Gefühl haben kann eine Handkamera (die auch mal wackelt) auf die Protagonistin zu halten, die ein Liedchen trällert. Eine Szene, die stellvertretend für den gelegentlich angewendeten Homevideo-Stil ist, der nicht näher an Anna, bzw. Asia sein könnte. Künstlerisch anspruchsvoll wird es, wenn Annas Albträume oder ihre Trips dargestellt werden. Die Alpträume sind expressiv, durch die perfekte Verbindung von Hintergrund, Mittelgrund, Vordergrund, Symmetrie, Licht und Schatten, Farben, Architektur, biblischen Motiven und Metaphorik, man möchte fast vermuten Dario Argento habe sich mit eingebracht. Besonders eine beeindruckende Zentralperspektive verleiht der Szenerie einen 3D-ähnlichen Effekt, der selbst das surreale greifbar macht. In der Darstellung eines Trips wechselt die Perspektive manchmal zwischen nahen und halbnahen Einstellungen und einer P.O.V.-Perspektive, ein Horrortrip entfaltet sich dadurch heftig und nah an der Protagonistin. Die Schnitte können die intensiven Eindrücke sehr gut miteinander verbinden. Manchmal sind sie abrupt, unterstützen dadurch aber auch den Eindruck, dass die Protagonistin von einem einschlägigen Erlebnis zum anderen stürzt.

Asia Argentos Experiment, autobiographische Züge durch ein fiktives Psychogramm darzustellen, ist geglückt. Die verschiedenen Stilmittel harmonieren zusammen, denn sie stellen ein zerrüttetes Leben effektiv dar. Asias Spiel, und ihre Inszenierung, überzeugen überwiegend. Besonders wenn man bedenkt dass es sich um ein Low-Budget-Spielfilmdebüt handelt. Der Stil ist gewöhnungsbedürftig, und nicht jede Szene passt in einen zugänglichen dramaturgischen Rahmen, aber selbst diese kantige Vorgehensweise ergibt im Kontext einen Sinn. Sehr kunstvoll, aber zu speziell, um everybody's Darling zu sein. Demented foreeever!

8 Punkte

GIMMICK:

Heutzutage ist Asia Argento mit dem Drehbuchautor, Regisseur und Filmproduzenten Michele Civetta verheiratet, aus einer vorangegangenen Beziehung hat sie eine Tochter.

Ein kleiner Auszug aus einem Interview:

Scarlet Diva deals heavily with issues of female disappointment towards men. Let me ask you simply, what do women want from men? Argento: Well, just deal with that genetically. We have a hole that needs to be filled.

8/10

Scarlet Diva: Review von cecil b (Schnittberichte.com) (2025)
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Author: Lakeisha Bayer VM

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